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Gedanken über
Kunst und Kitsch
Josef Wiedemann
Seite
Text
 
  1 Über Kunst und Kitsch in zwanzig Minuten etwas zu sagen, ist ein leichtsinniges Unternehmen. Aber es ist sicher weniger waghalsig, als wenn eine Stunde Zeit zur Verfügung stünde, oder gar mehr. Denn je tiefer wir da hineinsteigen in dieses Labyrinth, um so weniger Aussicht auf eine Übersicht werden wir bekommen. Der rote Faden wäre wiederum nur die Kunst selber, an dem wir herausfänden.
Über Kunst kann, so meine ich, nicht ein ...
 
  2 Ammonit (Scan)  
  6 Iris (Foto)  
8 Alle Definitionen gehen ans Religiöse, Transzendente, Numinose. Wissenschaftlich exakt sind sie alle nicht. Wissenschaftlich exakt wird Kunst genau so wenig zu fassen sein wie Liebe. Alle Definitionen und Bilder können auch - mit einer kleinen Phasenverschiebung allerdings - für Kitsch gelten. Diese Phasenverschiebung ist der kleine Schritt, der vom Erhabenen zum Lächerlichen führt. Wenn Kunst eine Orientierung ist, dann ist Kitsch eine ...  
15 Kosmee (Foto)  
22 ... nicht aus den ursprünglichen Quellen, sondern aus Surrogaten, aus Mißverständnissen, aus falschen Beständen, aus dem nur Äußerlichen nur aus der Form, ohne Inhalt. Wir kommen selber mehr und mehr ab vom Ursprünglichen, vom Unmittelbaren, und leben mehr und mehr vom Ersatz. Wir sind dem Kitsch demnach näher als wir meinen.
Zu dem nicht Erlernbaren gehört das nicht Lehrbare, genauso wie das nicht vorsätzlich ...
 
  27 Rosenblätter (Foto)  
  31 Nautilus (Scan)  
33 Die Entwicklung begann mit dem, was noch nicht Kunst genannt wurde, sondern Gottesdienst war, Äußerung der menschlichen Existenz, Spiel, Überfluß, Steigerung, Intensivierung des Alltäglichen; ganz und gar eingebunden in das Leben des Einzelnen wie in das der Gemeinschaft, in ihr Tun und Lassen. Dieses gesteigerte, vertiefte, intensivierte Tun wurde mehr und mehr zum bewußten, zum  
34 eigenständigen Teil des Lebens, wurde zur Kunst, zum Selbstzweck. Als Kunst konnte es nicht mehr Grundlage für alle sein, sondern existierte für wenige Eingeweihte. Es wurde zum Genußmittel, zu einer Art Selbstbefriedigung. Die Ästhetik, vorher selbstverständlich im Werk enthalten, wird zum Ziel, wird das Ganze. Das l'art pour l'art ist bezeichnet für diesen Abschnitt. Der Inhalt muß notwendig in den Hinter ...  
  35 Gabeln (Foto)  
  51 Feuer (Foto von Angelika Richter)  
53 ... daß die Welt noch nicht untergeht.
Wir können noch einmal davonkommen, durch Tiefschlaf, durch Rauschmittel, durch Hypnose, durch Kunst, wie sie zuletzt verstanden wurde - eben als Genuß - durch Kitsch als Betäubungsmittel. Aber nur vorübergehend. Wir wollen und dürfen aber nicht nur davonkommen:
wir wollen leben.
 
55
Josef Wiedemann  
* 15.10.1910 München  
1930 Abitur in München  
1930–1935 Studium an der Technischen Hochschule München  
1936–1944 angestellter Architekt im Büro des
Herrschinger Architekten Roderich Fick
 
1948 Gründung eines Architekturbüros in München  
1955–1976 Professor für Entwerfen,
Denkmalpflege und Sakralbau
der Technischen Hochschule München
 
† 18.4.2001 München  
 
 
Schrift karolingische Minuskel und Unziale
(heutigen Lesegewohnheiten angepaßt)
Tinte mit Bandzugfeder
Verkleinerung der Texte auf 40%
Bilder Fotos und Scans
Einband Marmorpapier
Auflage 11 numerierte Exemplare
auf handgeschöpftem Bütten
mit allseitigem Büttenrand
alle Arbeiten Claudia Richter, Tettnang 2008