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Bambus
Blitz und Flammen Schrift
Gedichte zu den Bildern einer Ausstellung
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Titel,
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1
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Meinem
Leser
Ein gut
Gebiß und einen guten Magen -
dies wünsch ich dir!
Und hast du erst mein Buch
vertragen,
verträgst du dich gewiß mit mir.
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Friedrich
Nietzsche |
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7
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Beherzigung
Ein Mensch,
der sich zu gut erschienen,
als Vorstand dem Verein zu dienen,
und der, bequem, sich ferngehalten,
die Kasse etwa zu verwalten,
der viel zu faul war, Schrift zu führen,
kriegt einst der Reue Gift zu spüren,
sein sechzigster Geburtstag naht
wo schreitet wer zur Glückwunschtat?
Tut dies am Ende der Verein?
Nur für ein unnütz Mitglied? Nein!
Kein Ständchen stramm, kein Festprogramm,
auch kein Ministertelegramm,
kein Dankesgruß der Bundesleitung
und keine Zeile in der Zeitung.
Wird etwa gar dann sein Begräbnis
ihm selbst und andern zum Erlebnis?
Sieht man dort selbst Zylinder glänzen?
Schwankt schwer sein Sarg hin unter Kränzen?
Spricht irgendwer am offnen Grabe,
was man mit ihm verloren habe?
Entblößt sich dankbar eine Stirn?
Läßt eine Hand im schwarzen Zwirn
auf seinem Sarg die Schollen kollern
bei Fahnensenken, Böllerbollern?
An seinem Grab stehn nur der Pfarrer
und die bezahlten Leichenscharrer.
Der Mensch, der dies beschämend fand,
ward augenblicks Vereinsvorstand.
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Eugen
Roth |
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9
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Kunst
Ein Mensch
malt, vor Begeist'rung wild,
drei Jahre lang an einem Bild.
Dann legt er stolz den Pinsel hin
und sagt: "Da steckt viel Arbeit drin!"
Doch damit war's dann leider aus:
Die Arbeit kam nicht mehr heraus!
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Eugen
Roth |
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14
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Die Feder
kritzelt
Die Feder
kritzelt: Hölle das!
Bin ich verdammt zum Kritzeln-Müssen? -
So greif ich kühn zum Tintenfaß
und schreib' mit dicken Tintenflüssen.
Wie läuft das hin, so voll, so breit!
Wie glückt mir alles, wie ich's treibe!
Zwar fehlt der Schrift die Deutlichkeit -
Was tut's? Wer liest denn, was ich schreibe?
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Friedrich
Nietzsche |
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17
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Quantitative
Linguistik
Goethe schrieb eins
Komma sieben drei drei
Silben pro Wort,
Rilke dagegen eins
Komma vier fünf eins.
In Marx'
Kapital finden sich
durchschnittlich zweiunddreissig
Komma sechs sechs acht
Wörter pro Satz,
in Jüngers 'Marmorklippen'
hinwiederum vierundzwanzig
Komma null neun null.
Dieses
Gedicht,
bis hierher berechnet, hat eins
Komma acht sechs zwei
Silben pro Wort
und achtzehn
Wörter pro Satz.
Es steht
damit weit
über Goethe und Rilke,
aber noch unter
Jünger und Marx.
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Reimar Lenz |
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18
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Die Brille
Korf liest
gerne schnell und viel,
darum widert ihn das Spiel
all des zwölfmal unerbetnen
Ausgewalzten, Breitgetretnen.
Meistens
ist in sechs bis acht
Wörtern völlig
abgemacht,
und in ebensoviel Sätzen
läßt sich Bandwurmweisheit schwätzen.
Es erfindet
drum sein Geist
etwas, was ihn dem entreißt:
Brillen, deren Energien
ihm den Text - zusammenziehen!
Beispielsweise
dies Gedicht
läse, so bebrillt, man - nicht!
Dreiunddreißig seinesgleichen
gäben erst - ein -- Fragezeichen!!
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Christian
Morgenstern |
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19
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Ein Wort
Ein Wort,
ein Satz -:
aus Chiffren steigen erkanntes Leben,
jäher Sinn, die Sonne steht,
die Sphären schweigen,
und alles ballt sich zu ihm hin.
Ein Wort
- ein Glanz,
ein Flug, ein Feuer, ein Flammenwurf,
ein Sternenstrich -
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich.
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Gottfried
Benn |
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26
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Ecce homo
Ja! Ich
weiß, woher ich stamme!
Ungesättigt gleich der Flamme
glühe und verzehr' ich mich.
Licht wird alles, was
ich fasse,
Kohle alles, was ich lasse:
Flamme bin ich sicherlich.
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Friedrich
Nietzsche |
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28
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Das Gleichnis
Wie wenn
da einer, und er hielte
ein früh gereiftes Kind, das schielte,
hoch in den Himmel und
er bäte:
»Du hörst jetzt auf den Namen Käthe!«
-
Wär dieser nicht dem Elch vergleichbar,
der tief im Sumpf und unerreichbar
nach Wurzeln, Halmen, Stauden sucht
und dabei stumm den Tag
verflucht,
an dem er dieser Erde Licht
...
Nein? Nicht vergleichbar? Na, dann nicht!
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Robert
Gernhardt |
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31
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Schicksal
Der Wolke
Zickzackzunge spricht:
»Ich bringe dir, mein Hammel, Licht.«
Der Hammel,
der im Stalle stand,
ward links und hinten schwarz gebrannt.
Sein Leben
grübelt er seitdem:
warum ihm dies geschah von wem.
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Christian
Morgenstern |
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Pinie
und Blitz
Hoch wuchs
ich über Mensch und Tier,
und sprach ich - niemand spricht mit mir.
Zu einsam
wuchs ich und zu hoch:
Ich warte: worauf wart ich doch?
Zu nah
ist mir der Wolken Sitz, -
ich warte auf den ersten Blitz.
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Friedrich
Nietzsche |
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35
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Gutes
Beispiel
Ein Mensch,
der Bücher schreiben
wollte,
besinnt sich plötzlich, ob er's sollte,
ob er, bis an ein heilig Wesen,
dran Dichter und Verlag genesen,
ein Mensch, der nicht nur las, der gar
sich Bücher kaufte gegen bar,
und den, weil selbst er nie geschrieben,
die Menschen und die Götter lieben,
ob er, gleichviel aus welchen Gründen,
sich stürzen sollt in solche Sünden,
wie sie im Himmel und auf Erden
höchst selten nur vergeben werden -
Der Mensch, der schon Papier erworben,
hat anderweitig es verdorben.
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Eugen
Roth |
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40
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Vice versa
Ein Hase
sitzt auf einer Wiese,
des Glaubens, niemand sähe diese.
Doch,
im Besitze eines Zeißes,
betrachtet voll gehaltnen Fleißes
vom vis-à-vis
gelegnen Berg
ein Mensch den kleinen Löffelzwerg.
Ihn aber
blickt hinwiederum
ein Gott von fern an, mild und stumm.
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Christian
Morgenstern |
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50
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japanische
Lyrik
Der Vollmond
löst sich von den Bambusspitzen
und schwebt im violetten Duft.
Unendliche Stille.
Toyotama
Tsuno
Es regnet
und schneit,
ein widriger Tag.
Da fällt mein Blick auf das Tropfengeglitzer
eines Bambuszweiges.
Wie schön ist dieser Tag!
Toyotama
Tsuno
Weil in
der Stille des Tempelgartens
das Quellwasser
aus dem Munde eines bronzenen Drachens
in ein Steinbecken fällt,
gibt es die Zeit.
Toyotama
Tsuno
Es gibt
nichts mehr,
keine Felder, keine Berge,
nur noch Schnee.
Naito
Joso
Laß
keinen Tag ohne Freude
vergehen.
aus
östlichem Denken
Unmerklich
reiht sich Tag an Tag.
So bist du entschwunden,
Vergangenheit.
Buson
Alle Menschen
gehen verschlafen umher.
Der Herbstmond stand in der vergangenen Nacht
so klar und schön am Himmel.
Matsunaga
Teitoku
Ein Blitz
flammt durch die Nacht.
Da, der Fischer!
Gerade schwingt er sein Netz.
Buson
Vollmond.
Ein Duft von Licht
schwebt über dem Wasser.
Hattori
Ranetsu
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52
-
53
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Finster
war's
Finster
war's, der Mond schien helle,
Schnee lag auf der grünen Flur,
als ein Wagen blitzeschnelle
langsam um die Ecke fuhr.
Drinnen
saßen stehend Leute,
schweigend ins Gespräch vertieft,
als ein totgeschoßner Hase
auf der Sandbank Schlittschuh lief.
Und auf
einer Bank aus Marmor,
die aus Holz geschnitten war,
saß ein blondgelockter Jüngling
mit kohlrabenschwarzem Haar.
Neben
ihm die alte Schachtel,
zählte kaum erst sechzehn Jahr,
kaute eine Buttersemmel,
die mit Schmalz bestrichen war.
Droben
auf dem Apfelbaume,
der sehr süße Birnen trug,
hing des Frühlings letzte Pflaume,
und an Nüssen noch genug.
Von der
regennassen Straße
wirbelte der Staub empor.
Und ein Junge bei der Hitze
mächtig an den Ohren fror.
Beide
Hände in den Taschen.
hielt er sich die Augen zu.
Denn er konnte nicht ertragen,
wie nach Veilchen roch die Kuh.
Holder
Engel, süßer Bengel,
furchtbar liebes Trampeltier.
Du hast Augen wie Sardellen,
alle Ochsen gleichen Dir.
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anonym
(aus dem Internet) |
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Fisches
Nachtgesang
Zeichen
leider nicht im Font enthalten!
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Christian
Morgenstern |
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Die Trichter
Zwei
Trichter wandeln durch die Nacht.
Durch ihres Rumpfs verengten Schacht
fließt weißes Mondlicht
still und heiter
auf ihren
Waldweg
u.s.
w.
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Christian
Morgenstern |
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Der Werwolf
Ein Werwolf
eines Nachts entwich
von Weib und Kind und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!
Der Dorfschulmeister
stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:
"Der
Werwolf" - sprach der gute Mann,
"des Weswolfs, Genitiv sodann,
dem Wemwolf, Dativ, wie man's nennt,
den Wenwolf, - damit hat's ein End."
Dem Werwolf
schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!
Der Dorfschulmeister
aber mußte
gestehn, daß er von ihr nichts wußte,
Zwar Wölfe gäb's in großer Schar,
doch "Wer" gäb's nur im Sigular.
Der Wolf
erhob sich tränenblind -
er hatte ja doch Weib und Kind!!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.
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Christian
Morgenstern |
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58
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Hör
zu
Hör
zu, so wird der letzte Abend sein,
wo du noch ausgehn kannst: du rauchst die "Juno",
"Würzburger Hofbräu" drei und liest die
Uno,
wie sie der Spiegel sieht, du sitzt allein.
an kleinem
Tisch, an abgeschlossenem Rund
dicht an der Heizung, denn du liebst das Warme.
Um dich das Menschentum und sein Gebarme,
das Ehepaar und der verhaßte Hund.
Mehr
bist du nicht, kein Haus, kein Hügel dein,
zu träumen in ein sonniges Gelände,
dich schlossen immer ziemlich enge Wände
von der Geburt bis diesen Abend ein.
Mehr
warst du nicht, doch Zeus und alle Macht,
das All, die großen Geister, alle Sonnen
sind auch für dich geschehn, durch dich geronnen,
mehr warst du nicht, beendet wie begonnen -
der letzte Abend - gute Nacht.
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Gottfried
Benn |
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Namen
Ein Name
fiel: Du warst betroffen,
Was er bedeutet weißt nur du allein:
Das Gegenteil von allem Hoffen:
Ein Synonym für Einsamsein.
Zu viele
schon die dich begleiten
und jeder ist ein Abschiedswort.
Doch einmal kommen namenlose Zeiten
und wenig später mußt du fort.
Am Ausklang
deiner oder aller Tage
sagt dir ein Name gar nichts mehr.
Und doch ist jeder eine Lebensfrage.
Die Antwort aber fällt dir schwer.
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Günter
Kunert |
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Einbildung
Wir
seh'n mit Grausen ringsherum,
die Leute werden alt und
dumm.
Nur wir allein im weiten Kreise,
wir bleiben jung und werden
weise.
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Eugen Roth |
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gedicht
(.c)
das sich,
wenngleich ohne titel,
selbst anzeigt, sofern es zuvor zu einem
gedicht(.exe)
kompiliert wurde
#include
<stdio.h>
int main(void)
{
FILE *gedicht;
gedicht=fopen("gedicht.c",
"r");
while(!feof(gedicht))
fputc(fgetc(gedicht), stdout);
fclose(gedicht);
return 0;
}
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anonym
(aus dem Internet) |
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Auf einen
chinesischen
Theewurzellöwen
Die
Schlechten
fürchten deine
Klaue.
Die
Guten freuen
sich deiner
Grazie.
Derlei
hörte ich gern
von meinem
Vers.
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Bertolt
Brecht |
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74
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Niemals
Wonach
du sehnlich ausgeschaut,
es wurde dir beschieden.
Du triumphierst und jubelst laut:
Jetzt hab ich endlich Frieden!
Ach Freundchen,
rede nicht so wild.
Bezähme deine Zunge.
Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt,
kriegt augenblicklich Junge.
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Wilhelm
Busch |
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79
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Impressum
Schrift |
karolingische
Minuskel und
Unziale
Tinte mit Bandzugfeder
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Bilder |
flüssige
Aquarellfarben mit
Flachpinsel
zum Teil digital bearbeitet
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13
Kopien |
der
Texte auf Maschinenbütten
(Verkleinerung auf 55%)
der Bilder auf Spezialpapier
(Verkleinerung auf 10-25%)
|
Einband |
Ausschnitt
aus dem Bild
"Burghausen"
digital bearbeitet
|
alle Arbeiten |
|
Claudia
Richter
Tettnang 2002 |
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