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Titel Persische Weisen  
  2 Der Bauer und der Vogel
Ein Bauer hatte einen Garten voller Blüten,
In dem Tulpen hell wie Leuchten glühten.
Rosen, Zypressen und Weiden in Reihe standen,
Granatäpfel, Quitten und Äpfel waren auch vorhanden.
Die Narzisse neigte sich trunken zum Rasen hin,
Lärmte und trieb Unfug mit dem Jas und Jasmin.
Auf jedem Zweig ein Singvogel sang,
So dass Verstand und Vernunft einem schwand.
Der Bauer, stark wie ein Elefant,
Nahm voll Eifer die Schaufel in die Hand.
Überall im Garten ließ er Wasser fließen,
Und tat so jede einzelne Pflanze begießen.
Kurz darauf er zum Obstgarten kam,
Dort sah er einen Vogel, der sich ganz närrisch benahm.
Mit Krallen und seinem langen Schnabel war er drauf aus,
Alles was er sah, zu zupfen heraus.
Den Bauer verspottend, schlug er wild um sich,
Reifes und Unreifes schlang er in sich.
So hoch flammte der Zorn im Mann,
Dass seines Zornes Flamme die ganze Welt steckte an.
Korn streute er aus, stellte eine Falle auf,
In die ging der Vogel bald darauf.
Aus dem Hinterhalt, wie ein Teufel, sprang der Mann
Und fing den Vogel zu schlagen an.
Die Falle warf er um, das Messer er zog.
Ihm den Kopf abzuschneiden, er erwog.
Der Vogel fing zu jammern an,
"Lass mir mein Leben, guter Mann.
Lass ab von meinem Blut und meinem Leben,
Dann will ich dir drei Ratschläge geben.
Der erste Rat sei: Glaub es nicht,
Wenn jemand unsinnige Worte spricht.
Der zweite Rat sei: Es tut nicht gut,
Wenn du dich grämst um verloren Gut.
Der dritte Rat sei alsodann,
Lauf nicht nach Dingen, die man nicht haben kann."
Da überkam den Mann Barmherzigkeit,
Laut Gottes Gebot wurde der Vogel befreit.2
Aus des Bauers Hand kam der kluge Vogel geflogen,
Grad wie ein Pfeil schnellt aus dem Bogen.
Auf einem Zweig sitzend begann er zu singen,
Der Jammer des Mannes tat nun erklingen.
"Weißt du", fragt der Vogel, "was geschah deiner Hand?
Und war dein Gegner dir überhaupt bekannt?
Einen Schatz im Entenei trag ich im Bauch,
Kostbarer als ein ganzes Land ist er auch."
Der Mann bereute des Vogels Freiheit sehr,
Zu Kummer wurde seine Freude mehr und mehr.
Zum Vogel sagt er:"Lass das doch gehen,
Ein Gespräch mit dir ist mehr wert als tausend Juwelen.
Sei mein Freund und meiner Seele Labe,
Verschöne dadurch meine jetzigen Tage."
Es lachte der Vogel über des Mannes List,
"Wohlauf, sprach er, "was für ein Fuchs du bist.
Solange du nichts wusstest von meinem Gut,
Schien es dir recht, zu vergießen mein Blut.
Sagte ich dir nicht, du böser Mann,
Nicht zu verlangen, was man nicht haben kann.
Warum willst du dich jetzt gesellen zu mir,
Hast du vergessen welchen Rat ich gab dir?
Ein Entenei kann gewiss nicht sein
Im Bauch eines Vogels, wie ich so klein.
Um einen Schatz, den's nicht gibt - wenn's ihn auch gäbe
So er dir entgeht, vergieß keine Träne!"
Djalal Farahani 14. Jh.  
  18

Der Adler
Einst flog ein Adler von einem Felsen hoch empor,
Auf die Jagd nach Beute bereitete er sich vor.
Indem er seine Flügel in die rechte Lage brachte,
"Die ganze Welt liegt unter mir", er bei sich dachte.
"In dieser Höhe kann mit scharfen Augen ich sehen
Sogar das Kleinste, das im Meer sich mag ergehen.
Wenn im Gestrüpp die Mücken sich bewegen.
Kann ich jede ihrer Bewegungen mit den Blicken sehen."
So gab er an, ohne an die Vorsehung zu denken,
Nun sieh, wie die Mächte sein Schicksal lenken.
Plötzlich, auf der Lauer sitzend, ein Jäger mit seinem Bogen
Zielt auf ihn, und schon kommt der Pfeil geflogen.
Die Spitze des Pfeiles sich in seinen Flügel bohrt,
Vom Himmel auf den Boden stürzt er sofort.
Auf der Erde lag er, zappelte wie ein Fisch,
Hin und her schlug er mit seinen Flügeln um sich.
Er sagt: "Wie kann ein Stück Eisen und Holz allein
Mit dieser Schärfe und Schnelle durch die Lüfte eil'n."
An dem Pfeil sieht er eine Feder aus seinem Flügel,
"Wen soll ich anklagen", sagt er,
"nur durch uns kommt über uns
all unser Übel."

Nasser Khosrow 11. Jh.  
  24 Der Regentropfen
Von einer Wolke fiel ein Tropfen klar.
Beschämt nahm er die Weite des Meeres wahr.
"Was bin ich gegenüber dem Meer,
Ein Nichts treib in ihm ich her."
Wie er sich so voller Demut besah,
Die Muschel durch ihn eine Perle gebar.
So hoch hob der Himmel ihn empor,
Daß er ihn zur Krone der Juwelen erkor.
Größe erreicht der, der sich tief verneigt,
An des Nichts Tor klopft, bis zum All er steigt.
Der Weise wählt Bescheidenheit,
Reich an Früchten, der Ast sich zur Erde neigt.
Saadi 13. Jh.  
  29 Die uralte Welt
Wer weiß, seit wann diese alte Welt
Besteht und wie es um sie ist bestellt.
Eine Runde alle hundert Jahre beginnt.
So die beendet ist, sie eine neue aufnimmt.
Keiner blieb, um das Ende einer Runde zu sehn.
Und um den Grund von dieser zu verstehn.
So man einige Tage mit dieser Runde ist gerannt,
Was konnte man da hören und was hat man erkannt?
Recht und Unrecht gibt es in jeder Runde,
Darin sieht der Wissende eine verborgene Kunde.
So du nicht willst, daß das Unrecht weiter besteht,
Achte, daß die Kunde davon nicht von Runde zu Runde geht.
Rasch wurde Nacht zu Tag, schwarz zu weiß, alsodann
Vertraue diesem Schwarz-Weiß dein Schicksal nicht an.
Nezami
(Aus Khosrow und Schirin)
12./ 13. Jh.  
 
Bilderverzeichnis
1 Yazd Jame-Moschee (Freitagsmoschee)
4 Isfahan Ali Qapu-Palast
7 Shiraz Madrese Khan (Koranschule)
10 Kashan Madrese Aqa Bozorg
13 Shiraz Vakil-Basar
16 Qom schiitisches Heiligtum der Fatemeh
19 bei Natanz Berge
22 Yazd zoroastrischer Feuertempel
25 Isfahan Imam-Moschee
28 Kashan Fin-Gartenanlage
31 Yazd Windturm im Dowlatabad-Garten
 
 
Impressum
Text aus dem Buch "Gol-O-Bolbol" (Rosen und Nachtigall)
persische Gedichte
Schrift - angelehnt an Karolingische Minuskel und Unziale
- persisch
mit Parallel-Pen
Verkleinerung der Texte auf 40 %
Bilder - Fotos einer Iranreise im Oktober 2014
- kolorierte Federzeichnungen
Einband Stoff aus Shiraz und Isfahan
Auflage 13 nummerierte Exemplare
auf Strohseide
alle Arbeiten Claudia Richter, Tettnang 2015