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Titel
Zeit
     
  3 Dum loquimur,
fugerit invida aetas:
carpe diem,
quam minimum credula postero.
Horatius
65 - 8 v.Chr.  
  4 Da wir noch sprechen,
ist schon entflohen die neidische Zeit:
Greife den Tag,
nimmer traue dem nächsten.
Horaz 65 - 8 v.Chr.  
  7

Alles hat seine Zeit

Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat
seine Stunde:

geboren werden hat seine Zeit,
sterben hat seine Zeit;
pflanzen hat seine Zeit,
ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;

töten hat seine Zeit.
heilen hat seine Zeit;
abbrechen hat seine Zeit.
bauen hat seine Zeit;

weinen hat seine Zeit,
lachen hat seine Zeit;
klagen hat seine Zeit,
tanzen hat seine Zeit;

Steine wegwerfen hat seine Zeit,
Steine sammeln hat seine Zeit;
herzen hat seine Zeit,
aufhören zu herzen hat seine Zeit;

suchen hat seine Zeit,
verlieren hat seine Zeit;
behalten hat seine Zeit.
wegwerfen hat seine Zeit;

zerreißen hat seine Zeit,
zunähen hat seine Zeit;
schweigen hat seine Zeit,
reden hat seine Zeit;

lieben hat seine Zeit.
hassen hat seine Zeit;
Streit hat seine Zeit,
Friede hat seine Zeit.

Man mühe sich ab, wie man will,
so hat man keinen Gewinn davon.

Ich sah die Arbeit, die Gott den
Menschen gegeben hat,
daß sie sich damit plagen.

Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit,
auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt;
nur daß der Mensch nicht ergründen kann
das Werk, das Gott tut,
weder Anfang noch Ende.

Da merkte ich, daß es nichts Besseres
dabei gibt als fröhlich sein und sich
gütlich tun in seinem Leben.

Bibel
Prediger Salomo 3.1-12
 
  13 Wenn ich frage bei den Sternen
Nach der Zeit, und wo sie steht,
Seh ich sie, die weitergeht,
Von den Sternen sich entfernen.

Luis de Góngora
y Argote

1561 - 1627  
  17 Wenn ich den Stundenschlag der Uhr vernehme,
und seh den Tag in schwarze Nacht versinken,
wenn ich ein Veilchen am Verwelken sehe,
und silberweiß aus schwarzen Locken blinken,

wenn hohe Bäume jetzt kein Blatt mehr tragen,
die vor der Hitze noch das Vieh bewahrt,
und Sommers Grün, in Garben weggetragen,
wird nun mit weißen Stoppeln aufgebahrt:

Wo bleibt dann deine Schönheit, frag ich mich:
Du wirst in der Verschwendung untergehn!
Läßt Süß das Süß, und Schön das Schön im Stich,
so wird es sterbend andre wachsen sehn.

Was kann der Sichel Zeit denn widerstehn?
Nur eigen Blut, das bleibt, mußt du schon gehn.

William Shakespeare 1564 - 1616  
  21 Der Tag lädt uns ein,
der Ort spornt uns an,
die Zeit drängt uns.
Franz von Sales
1567 - 1622  
  25 Betrachtung der Zeit

Mein sind die Jahre nicht,
die mir die Zeit genommen,
Mein sind die Jahre nicht,
die etwa möchten kommen.
Der Augenblick ist mein,
und nehm' ich den in acht,
So ist der mein,
der Jahr und Ewigkeit gemacht.

Andreas Gryphius 1567 - 1622  
  29 Wir eilen mit dem Strom der Zeit
stets näher hin zur Ewigkeit.
Joachim Neander 1650 - 1680  
  33 Die Zeit ein stetes heute

Was heute gestern heißt,
das hieß man gestern heute.
Was heute morgen ist,
wird morgen heute seyn.
Und dennoch sorget ihr für morgen,
Blinde Leute!
Weils morgen heut' auch ist,
so sorgt für heut' allein.

Nicolaus Ludwig Esmarch 1654 - 1719  
  37 An Leukon

Rosen pflücke, Rosen blühn,
morgen ist nicht heut!
Keine Stunde laß entfliehn –
flüchtig ist die Zeit!

Trink und küsse! Sieh, es ist
heut Gelegenheit!
Weißt du, wo du morgen bist?
flüchtig ist die Zeit!

Aufschub einer guten Tat
hat schon oft gereut!
Hurtig leben ist mein Rat –
flüchtig ist die Zeit!

Johann Wilhelm Ludwig Gleim 1719 - 1803
 
  41 Der Mensch lebt und bestehet
nur eine kleine Zeit,
und alle Welt vergehet
mit ihrer Herrlichkeit.
Es ist nur Einer ewig und an allen Enden
und wir in seinen Händen.
Matthias Claudius 1740 - 1815  
  45 Lied des Lebens

Flüchtiger als Wind und Welle
Flieht die Zeit; was hält sie auf?
Sie genießen auf der Stelle,
Sie ergreifen schnell im Lauf;
Das, ihr Brüder, hält ihr Schweben,
Hält die Flucht der Tage ein.
Schneller Gang ist unser Leben,
Laßt uns Rosen auf ihn streun.

Rosen; denn die Tage sinken
In des Winters Nebelmeer.
Rosen; denn sie blühn und blinken
Links und rechts noch um uns her.
Rosen stehn auf jedem Zweige
Jeder schönen Jugendtat.
Wohl ihm, der bis auf die Neige
Rein gelebt sein Leben hat.

Tage, werdet uns zum Kranze
Der des Greises Schläf' umzieht
Und um sie in frischem Glanze
Wie ein Traum der Jugend blüht.
Auch die dunkeln Blumen kühlen
Uns mit Ruhe, doppelt-süß
Und die lauen Lüfte spielen
Freundlich uns ins Paradies.
Johann Gottfried von Herder 1744 - 1803  
  47 Ein Traum

Ein Traum
ist unser Leben auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wogen
schweben und schwinden wir,
und messen uns’re trägen Tritte
nach Raum und Zeit;
und sind (und wissen’s nicht)
in Mitte der Ewigkeit.

Johann Gottfried von Herder 1744 - 1803  
  51 In Lebensfluten, im Tatensturm
Wall ich auf und ab,
Webe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben,
So schaff ich
am sausenden Webstuhl der Zeit
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
Johann Wolfgang von Goethe 1749 - 1832  
  52 Wahrhaftes Leben

"Wie man nur so leben mag?
Du machst dir gar keinen guten Tag"!
Ein guter Abend kommt heran,
wenn ich den ganzen Tag getan.

Wenn man mich da und dorthin zerrt,
und wo ich nichts vermag,
bin ich von mir selbst nur abgesperrt,
da hab' ich keinen Tag.

Tut sich nun auf, was man bedarf,
und was ich wohl vermag,
da greif ich ein, es geht so scharf,
da hab' ich meinen Tag!

Ich scheine mir an keinem Ort,
auch Zeit ist keine Zeit,
ein geistreich-aufgeschloss'nes Wort
wirkt auf die Ewigkeit.

Johann Wolfgang von Goethe 1749 - 1832  
  55 Sprüche des Konfuzius

Dreifach ist der Schritt der Zeit:
Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,
Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit.

Keine Ungeduld beflügelt
Ihren Schritt, wenn sie verweilt.
Keine Furcht, kein Zweifeln zügelt
Ihren Lauf, wenn sie enteilt.
Keine Reu, kein Zaubersegen
Kann die stehende bewegen.

Möchtest du beglückt und weise
Endigen des Lebens Reise,
Nimm die zögernde zum Rat,
Nicht zum Werkzeug deiner Tat.
Wähle nicht die fliehende zum Freund,
Nicht die bleibende zum Feind.

Dreifach ist des Raumes Maß:
Rastlos fort ohn Unterlaß
Strebt die Länge; fort ins Weite
Endlos gießet sich die Breite;
Grundlos senkt die Tiefe sich.

Dir ein Bild sind sie gegeben:
Rastlos vorwärts mußt du streben,
Nie ermüdet stillestehn,
Willst du die Vollendung sehn;

Mußt ins Breite dich entfalten,
Soll sich dir die Welt gestalten;
In die Tiefe mußt du steigen,
Soll sich dir das Wesen zeigen.
Nur Beharrung führt zum Ziel,
Nur die Fülle führt zur Klarheit,
Und im Abgrund wohnt die Wahrheit.

Friedrich von Schiller 1759 - 1805  
  57 Es wär' ein eitel und vergeblich Wagen,
Zu fallen ins bewegte Rad der Zeit.
Geflügelt fort entführen es die Stunden,
Das Neue kommt, das Alte ist verschwunden.
Friedrich von Schiller 1759 - 1805  
  61 Die Zeit

Die Zeit zerstört und baut Paläste,
Streut bunte Blumen auf die Flur.
Verschlingt des Nachruhms Überreste,
Und läßt dem Enkel keine Spur.

Mit unersättlichem Behagen
Nagt sie am Denkmal mancher Gruft,
Zwar mildert sie des Unmuths Klagen
Durch sie zerfließt der Gram in Luft.

Oft nährt, oft löschet sie die Flamme,
Die Leidenschaft am Busen birgt,
Oft untergräbt sie schlau am Damme
Womit Vernunft entgegen wirkt.

Sie kann, was Menschen selten können,
Sie setzet Schranken jedem Schmerz,
Vereint oft, was die Menschen trennen,
Gießt Balsam in das wunde Herz.

Zwar wieget sie die stärksten Triebe
In Schlummer ein, nach Sturm und Braus,
Doch die Erinn'rung erster Liebe
Tilgt selbst die Ewigkeit nicht aus!
Gabriele von Baumberg 1768 - 1829  
  65 Alle Menschen seh ich leben...

Alle Menschen seh ich leben
Viele leicht vorüberschweben
Wenig mühsam vorwärtsstreben
Doch nur Einem ist's gegeben
Leichtes Streben, schwebend leben.

Wahrlich der Genuß ziemt Toren
In der Zeit sind sie verloren
Gleichen ganz den Ephemeren
In dem Streit mit Sturm und Wogen
Wird der Weise fortgezogen
Kämpft um niemals aufzuhören
Und so wird die Zeit betrogen
Endlich unters Joch gebogen
Muß des Weisen Macht vermehren.

Ruh' ist Göttern nur gegeben
Ihnen ziemt der Überfluß
Doch für uns ist Handeln Leben
Macht zu üben nur Genuß.

Novalis 1772 - 1801  
  69 So wandelt sie, im ewig gleichen Kreise,
Die Zeit nach ihrer alten Weise,
Auf ihrem Wege taub und blind,
Das unbefangne Menschenkind.
Erwartet stets vom nächsten Augenblick
Ein unverhofftes seltsam neues Glück.
Die Sonne geht und kehret wieder,
Kommt Mond und sinkt die Nacht hernieder,
Die Stunden, die Wochen abwärts leiten,
Die Wochen bringen die Jahreszeiten.
Von außen nichts sich je erneut,
In dir trägst du die wechselnde Zeit,
In dir nur Glück und Begebenheit.
Ludwig Tieck 1773 - 1853  
  73 Ach, wie flüchtig ist die Zeit!
Was wir gestern kaum begonnen,
Heute liegt es schon so weit
Grau und nebelhaft zerronnen –
Ach, so flüchtig ist die Zeit.

Ach, wie flüchtig ist die Zeit!
Doch kein Schritt ging noch verloren,
Denn ein Vater steht bereit,
Wartend vor den ew'gen Toren –
Bei ihm endet Flucht und Zeit!

Clemens Brentano 1778 - 1842  
  77 Die Zeit geht schnell

Lieb' Vöglein, vor Blüten
Sieht man dich kaum,
Im dämmernd beglühten
Flüsternden Baum;
Wann in Morgenfunken
Sprüh'n Thäler und Quell,
Singst du feuertrunken –
Aber die Zeit geht schnell.

Wie balde muß lassen
Seine Blätter der Wald,
Die Blumen erblassen,
Die Gegend wird alt,
Erstarrt ist im Eise
Der muntere Quell –
Rüst' die Flügel zur Reise;
Denn die Zeit geht schnell.

Joseph von Eichendorff 1788 - 1857  
  81 Zeit und Ewigkeit

Du fragst, was ist die Zeit? Und was die Ewigkeit?
Wo hebt sich Ewiges an und hebet auf die Zeit?
Die Zeit, sobald du sie aufhebst, ist aufgehoben,
wo dich das Ewige zu sich erhebt nach oben.
Die Zeit ist nicht, es ist allein die Ewigkeit,
die Ewigkeit allein ist ewig in der Zeit.
Sie ist das in der Zeit sich stets Gebärende,
als wahre Gegenwart die Zeit Durchwährende.
Wo die Vergangenheit und Zukunft ist geschwunden
in Gegenwart, da hast du Ewigkeit empfunden.
Wo du Vergangenheit und Zukunft hast empfunden
als Gegenwart, da ist die Ewigkeit gefunden.

Friedrich Rückert 1788 - 1866  
  82 Hier geb' ich dir, mein Sohn,
Glück möge sie dir schlagen,
Die dein Großvater einst, dein Vater dann getragen,
Die Uhr, nun trag du sie, und möge sie dein eigen
Noch schönre Stunden dir als deinen Vätern zeigen!
Ob ernstbeschäftigte, ob heiter aufgeräumte,
Sie zeige dir nur nie die Stunde, die versäumte!
Denn niemals, ob die Uhr du stellen magst zurück,
Kehrt die versäumte Zeit und ein verträumtes Glück.
Ein Bild des Lebens ists, was dir dein Vater gab:
Das Leben wie die Uhr läuft unaufhaltsam ab.
Die abgelaufne Uhr läßt wieder auf sich ziehn;
Für die des Lebens ist kein Schlüssel uns verliehn.
Friedrich Rückert 1788 - 1866  
  85 Fortschritt

Die Zeit, sie eilt so schnell voraus,
Und ich, ich blieb zurück.
Ich schäme mich! Was kommt heraus?
Es bleibt ein Mißgeschick.

Doch stürmt sie hin unbändig jach,
Kaum reicht so fern mein Blick;
Die Bahngenossen stürmen nach,
Und ich, ich blieb zurück.

Vielleicht kehrt wieder sie des Wegs;
Laßt sitzen mich am Stein!
Vielleicht – hat sie sich müd' gerannt –
Hol' ich sie doch noch ein.

Der Gang der Welt ist nicht so rasch,
Als Torheit meint und spricht;
Man weiß wohl: Flügel hat die Zeit,
Die Zeiten aber nicht.

Franz Grillparzer 1791 - 1872  
  89 Schmäht ihr sie, so schmäht ihr euch;
Denn es ist die Zeit dem weißen,
Unbeschriebnen Blatte gleich,
Das Papier ist ohne Makel,
Doch die Schrift darauf gebt ihr!
Ist die Schrift just nicht erbaulich,
Nun, was kann das Blatt dafür?



Gotthilf August von Maltitz 1794 - 1837  
  93 Die Zeit ist wie ein Bild von Mosaik,
zu nah beschaut, verwirrt es nur den Blick;
willst du des Ganzen Art und Sinn verstehn,
so mußt du's, Freund, aus rechter Ferne sehn.
Emanuel Geibel 1815 - 1884  
  97 Die Zeit geht nicht

Die Zeit geht nicht, sie stehet still,
Wir ziehen durch sie hin;
Sie ist die Karawanserei,
Wir sind die Pilger drin.

Ein Etwas, form- und farbenlos,
Das nur Gestalt gewinnt,
Wo ihr drin auf und nieder taucht,
Bis wieder ihr zerrinnt.

Es blitzt ein Tropfen Morgentau
Im Strahl des Sonnenlichts;
Ein Tag kann eine Perle sein
Und ein Jahrhundert nichts.

Es ist ein weißes Pergament
Die Zeit, und jeder schreibt
Mit seinem roten Blut darauf,
Bis ihn der Strom vertreibt.
An dich, du wunderbare Welt,
Du Schönheit ohne End',
Auch ich schreib' meinen Liebesbrief
Auf dieses Pergament.

Froh bin ich, daß ich aufgeblüht
In deinem runden Kranz;
Zum Dank trüb' ich die Quelle nicht
Und lobe deinen Glanz.

Gottfried Keller 1819 - 1890  
  101 Überlaß es der Zeit

Erscheint dir etwas unerhört,
Bist du tiefsten Herzens empört,
Bäume nicht auf, versuch's nicht mit Streit,
Berühr es nicht, überlaß es der Zeit.
Am ersten Tag wirst du feige dich schelten,
Am zweiten läßt du dein Schweigen schon gelten,
Am dritten hast du's überwunden,
Alles ist wichtig nur auf Stunden,
Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter,
Zeit ist Balsam und Friedensstifter.

Theodor Fontane 1819 - 1898  
  105 Stoßseufzer

Stunden gehen, immer Stunden,
Wer hat doch die Qual erfunden?
An den Stuhl wie angebunden
Sitzt man, bis der Tag entschwunden.

In den Stunden, in den Stunden
Wird geplagt man und geschunden,
Und die einzigen, die uns munden,
Sind halt doch die Schäferstunden!

Peter Cornelius 1824 - 1874  
  109 Summa summarum

Sag, wie wär es, alter Schragen,
Wenn du mal die Brille putztest,
Um ein wenig nachzuschlagen,
wie du deine Zeit benutztest.

Oft wohl hätten dich so gerne
Weiche Arme warm gebettet;
Doch du standest kühl von ferne,
Unbewegt wie angekettet.

Oft wohl kam's daß du die schöne
Zeit vergrimmtest und vergrolltest,
Nur weil diese oder jene
Nicht gewollt, so wie du wolltest.

Demnach hast du dich vergebens
Meistenteils herumgetrieben;
Denn die Summe unsres Lebens
Sind die Stunden, wo wir lieben.

Wilhelm Busch 1832 - 1908  
  113 Die Götter mag erfreun,
was ohne Zeit besteht;
wir, selber flücht'gen Stoffs,
uns reizt nur, was vergeht.
Wilhelm Hertz 1835 - 1902  
  117 Die beß're Zeit ist ein Erinnern
Und alles Glück ist Streben nur;
So geh' ich auf des Glückes Spur
Und trag' die beß're Zeit im Innern.
Karl Siebel 1836 - 1868  
  121 Die Zeit ist zu langsam für die, die warten.
Zu schnell für die, die sich fürchten.
Zu lang für die, die trauern,
zu kurz für die, die frohlocken,
aber für die, die lieben,
bedeutet Zeit Ewigkeit.
Was das Leben auch bringt,
ich werde an deiner Seite sein.
Henry van Dyke 1852 - 1933  
  125 Den Sonntag stieß der Wochentag
unfreundlich in die Hüfte.
Mein Staub, sprach er, gibt mehr Ertrag
als deine Weihrauchdüfte.
Doch jener sprach, zu was der Streit,
das Recht ist mit uns beiden.
Dich Werkeltag bezahlt die Zeit,
mich lohnen Ewigkeiten.
Heinrich Schäff 1862 - 1937  
  129 Alte Uhr

Ist eine alte Uhr in Prag,
Verrostet das Werk und der Stundenschlag,
Verstummt ihre Stimme im Munde;
Zeigt immer die gleiche Stunde.

Doch täglich einmal, so tot sie sei,
Schleicht zögernd die Zeit an der Uhr vorbei,
Dann zeigt sie die richtige Stunde,
Wie die Uhren all' in der Runde.

Es ist kein Werk so abgetan,
Kommt doch einmal seine Zeit heran,
Daß es sein Wirken bekunde,
Kommt doch seine richtige Stunde…

Hugo Salus 1866 - 1929  
  133 Die Korfsche Uhr

Korf erfindet eine Uhr,
die mit zwei Paar Zeigern kreist
und damit nach vorn nicht nur,
sondern auch nach rückwärts weist.

Zeigt sie zwei, – somit auch zehn;
zeigt sie drei, – somit auch neun;
und man braucht nur hinzusehn,
um die Zeit nicht mehr zu scheun.

Denn auf dieser Uhr von Korfen
mit dem janushaften Lauf
(dazu ward sie so entworfen):
hebt die Zeit sich selber auf.

Christian Morgenstern 1871 - 1914  
  134 Die Zeit

Es gibt ein sehr probates Mittel,
die Zeit zu halten am Schlawittel:
Man nimmt die Taschenuhr zur Hand
und folgt dem Zeiger unverwandt,

Sie geht so langsam dann, so brav
als wie ein wohlgezogen Schaf,
setzt Fuß vor Fuß so voll Manier
als wie ein Fräulein von Saint-Cyr.

Jedoch verträumst du dich ein Weilchen,
so rückt das züchtigliche Veilchen
mit Beinen wie der Vogel Strauß
und heimlich wie ein Puma aus.

Und wieder siehst du auf sie nieder;
ha, Elende! – Doch was ist das?
Unschuldig lächelnd macht sie wieder
die zierlichsten Sekunden-Pas.

Christian Morgenstern 1871 - 1914  
  137 In meinem wilden Herzen

Wunderliches Wort: die Zeit vertreiben!
Sie zu halten, wäre das Problem.
Denn, wen ängstigts nicht: wo ist ein Bleiben,
wo ein endlich Sein in alledem? -

Sieh, der Tag verlangsamt sich, entgegen
jenem Raum, der ihn nach Abend nimmt:
Aufstehn wurde Stehn, und Stehn wird Legen,
und das willig Liegende verschwimmt -

Berge ruhn, von Sternen überprächtigt; -
aber auch in ihnen flimmert Zeit.
Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt
obdachlos die Unvergänglichkeit.

Rainer Maria Rilke 1875 - 1926  
  138 O Leben Leben, wunderliche Zeit
von Widerspruch zu Widerspruche reichend
im Gange oft so schlecht so schwer so schleichend
und dann auf einmal, mit unsäglich weit
entspannten Flügeln, einem Engel gleichend:
O unerklärlichste, o Lebenszeit.

Von allen großgewagten Existenzen
kann einer glühender und kühner sein?
Wir stehn und stemmen uns an unsre Grenzen
und reißen ein Unkenntliches herein.

Rainer Maria Rilke 1875 - 1926  
  141 Und ein Sternkundiger sagte:

"Meister, wie verhält es sich mit
der Zeit?"

Und er antwortete:

"Ihr möchtet die Zeit messen, die doch
ohne Maß ist und unermeßlich.

Ihr möchtet euer Handeln und selbst
den Lauf eures Geistes nach Stunden
und Jahreszeiten ordnen.

Aus der Zeit möchtet ihr einen Fluß
machen, von dessen Ufer aus ihr, in Muße,
dessen Strömen betrachten könnt.

Doch das Zeitlose in euch ist sich der
Zeitlosigkeit des Lebens bewußt.

Und wer weiß, dass das Gestern nichts
als die Erinnerung des Heute und das
Morgen das, was das Heute erträumt.

Und was in euch singt und gewahrt,
wohnt nach wie vor in den Grenzen jenes
ersten Moments, der die Sterne im
Weltraum verstreute.

Wer von euch spürt etwa nicht, daß
seine Fähigkeit zu lieben unbegrenzt ist?

Und dennoch, wer empfindet nicht, daß
eben diese Liebe, wenn auch unbegrenzt,
doch restlos im Zentrum seines Wesens
enthalten ist und sich nicht von Liebes-
gedanken zu Liebesgedanken bewegt - noch
von Liebeshandlung zu Liebeshandlung?

Und ist etwa Zeit nicht ganz so wie die
Liebe - ungeteilt und raumlos?
Aber - wenn ihr schon die Zeit in
Gedanken nach Jahreszeiten bemessen
müßt, dann möge jede einzelne Jahres-
zeit alle übrigen Jahreszeiten umfasssen.

Und - das Heute umarme das Vergangene
mit Erinnern und das Künftige mit
Sehnsucht!"

Khalil Gibran 1883 - 1931  
  144 Von der Zeit

Mein Haus sagte zu mir:
"Verlaß mich nicht,
denn hier wohnt deine Vergangenheit".
Und die Straße sagte zu mir:
"Komm und folge mir,
denn ich bin deine Zukunft".
Und ich sage zu beiden,
zu meinem Haus und zu der Straße:
"Ich habe weder Vergangenheit,
noch habe ich Zukunft.
Wenn ich hier bleibe,
ist ein Gehen in meinem Verweilen;
und wenn ich gehe,
ist ein Verweilen in meinem Gang.
Nur Liebe und Tod ändern die Dinge."

Khalil Gibran 1883 - 1931  
  147
Bilderverzeichnis
5 astronomische Sonnenuhr Landesausstellung Zwiesel
11 Mohnblüten Lindau
15 Pflasterstern Prag
19 astronomische Uhr Prager Rathaus
23 Wanduhr Inzigkofen
27 Kreuzgang Fontfroide
31 Windrose Seemannsfriedhof bei Gruissan
35 Geld
39 Rose Frankfurt
43 Kreuzgang Primo Chiostro Florenz
49 Schnee Isny Neutrauchburg
53 Portalschloss Pfarrkirche Weildorf
59 Mühlrad Geismühle, Krefeld
63 Baum Murnau
67 Distelsamen
71 Fußboden Universitätsbibliothek,
Pristina
75 Grabsteine Jüdischer Friedhof, Prag
79 Blätter Isny Neutrauchburg
83 Taschenuhr
87 Steinbank Fontfroide
91 Papierstern
95 Dach Isny
99 Staffelsee Uffing
103 Brunnen Kremsmünster
107 Schaf Braunschweig
111 Schmetterling Mainau
115 Raureif Isny Neutrauchburg
119 Lichter "Kleeblatt" Frankfurt
123 Uhr Kathedrale Santa Maria del Fiore in Florenz
127 Uhrenturm Burghausen
131 Uhr Stift Rein
135 Taschenuhr
139 Innenhof Schloss Baldern
145 Donautal bei Inzigkofen
   
  151
Impressum
Schrift angelehnt an
Karolingische Minuskel,
Unziale und Antiqua
mit Bandzugfeder und Tinte
Verkleinerung der Texte
auf 55 %
Auflage 7 nummerierte Exemplare
auf Ingres-Bütten
alle Arbeiten Claudia Richter, Tettnang 2014